2 Unser Alltag ist eine Herausforderung für unsere Beziehung

Beispiel 1:
Birgit und Bernd sind beide Ärzte. Sie haben sich während des Studiums kennengelernt und sind zusammengeblieben – das ist schon 10 Jahre her. Letztes Jahr haben sie geheiratet, weil sie den Eindruck hatten, dass ihre Beziehung mit diesem verbindlichen Rahmen eine besondere Qualität bekommen würde. Eine Qualität, die ihnen ein wenig abhandengekommen war. Nachdem sich das langfristig aber nicht einzustellen scheint, sind sie nun etwas enttäuscht. Trotzdem stehen sie zueinander und keiner von beiden denkt über eine Trennung nach.
Gestern waren sie bei Freunden und haben den Geburtstag von Hans gefeiert. Die Stimmung war gut und sie haben auch einiges getrunken.
Zu vorgerückter Stunde unterhielt sich Birgit mit den Frauen im Esszimmer – natürlich über Männer. Als Bernd zufällig von der Küche Richtung Wohnzimmer lief, wo gerade eine heiße Diskussion über die Verleihung des Filmpreises unter den männlichen Gästen entbrannt war, hörte er, wie seine Birgit sagte: „Manchmal wünsche ich mir schon mehr Pep von Bernd im Schlafzimmer“ - die anderen kicherten.
Er war wie vom Donner gerührt und blieb wie angewurzelt stehen. Dennoch versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen, um nicht den Eindruck zu vermitteln, er hätte gelauscht und zwang sich dazu, weiter ins Wohnzimmer zu gehen und sich wieder zu seinen Freunden zu setzen. Aber konzentrieren konnte er sich nicht mehr auf die Diskussion und eine halbe Stunde später drängte er zum Aufbruch.
Kaum zu Hause angekommen konnte er sich dann aber nicht mehr zurückhalten:
„Sag mal, hast du sie noch alle?“ „Wieso?“ Birgit sah ihn entgeistert an. „Du erzählst deinen Freundinnen, ich sei ein Langweiler im Bett?“ „Hab ich nicht gesagt.“ „Ich habe genau gehört, wie du gesagt hast, dass du dir von mir mehr Pep im Schlafzimmer wünschst.“ Wütend funkelte er sie an. „Wie konntest du so was sagen und mich derart bloß stellen – spinnst du? Jetzt kann ich nicht mehr mit ihnen zusammen sein, ohne dass sie daran denken, was für einen Versager ich im Bett sein muss. Du bis unmöglich!“
Birgit wand sich unbehaglich und gähnte unterdrückt: „Jetzt mach dir doch nicht gleich ins Hemd! Was ist denn falsch daran, über seine Wünsche in der Sexualität zu sprechen? Und sich nach 10 Jahren Beziehung ein wenig Pep zu wünschen, ist doch nicht unnormal. Und wenn es dich beruhigt: Den anderen geht es ähnlich. Wir waren alle etwas angetrunken; die vergessen so was auch gleich wieder!“ „Aber ich nicht! Und jetzt lass mich bloß in Ruhe!“ Bernd knallte die Schlafzimmertür hinter sich zu, und als Birgit 10 Minuten später ins Bett ging, hatte er sich zur Wand gedreht und gab keinen Ton von sich. Auch in den nächsten Tagen blieb die Stimmung schlecht.
Bernd war wirklich verletzt und damit hatte Birgit nicht gerechnet. Das hatte sie auch nicht gewollt. Es tat ihr ja auch leid. Aber irgendwie stimmte es trotzdem – es war nicht mehr so viel los mit ihnen beiden im Bett. Aber warum musste er so schlimm darauf reagieren und tagelang nicht mir ihr sprechen? Das war schließlich auch keine Lösung und ändern konnte sie es ohnehin nicht mehr.

Beispiel 2:
Susanne und Siegfried sind seit 10 Jahren verheiratet. Sie haben 2 Söhne: Maximilian (7) und Maurizio (6). Während Susanne als Chefsekretärin arbeitet und damit die Familie ernährt, ist Siegfried Zuhause und managt den Alltag. Er hatte ursprünglich Politologie studiert, aber irgendwann erkannt, dass er in diesem Bereich nicht arbeiten konnte: Zu viel Stress, zu viele Konflikte und zu wenig Bereitschaft, diese konstruktiv zu lösen. Auf Stress reagiert sein Körper sofort mit Übelkeit und starken Kopfschmerzen. Also hatten sie diese zumindest in ihrem Bekanntenkreis eher unübliche Aufgabenteilung beschlossen. Siegfried wuchs in seine Aufgabe im Lauf der Jahre immer besser hinein und jetzt, da die Kinder größer waren, findet er auch zunehmend Zeit für seine „heimliche Leidenschaft“, wie er es augenzwinkernd selbst nennt: das fotografieren. Der einzige Wermutstropfen dabei ist: Es ist ein teures Hobby. Deswegen hat er schon seit längerem einen Nebenerwerb aufgebaut, der ihm etwas Geld bringt. Er schreibt sehr gut und hat sich mittlerweile als Ghostwriter für Autobiografien von Menschen mit besonderen Lebensschicksalen einen Namen gemacht. Mit diesem Geld hat er im Lauf der Zeit seine Fotoausrüstung verfeinert und ist heute recht zufrieden damit. Fast könnte man sagen, dass er eine Profiausrüstung hat.
Diesmal möchte er ein besonders lichtstarkes Porträtobjektiv kaufen, das natürlich recht teuer ist – knapp 2000 Euro hat sein Vertrauenshändler ihm beim letzten ihrer zahlreichen Gespräche genannt.
Siegfried hat seiner Susanne bisher nichts verraten, denn er möchte sie damit überraschen.
Als Susanne schließlich das gute Stück ein paar Wochen später zu Gesicht bekommt und in Erfahrung bringt, wie viel es gekostet hat, kann sie sich nicht mehr beherrschen. „Sag mal, spinnst du? Glaubst du, wir haben Geld, um es aus dem Fenster zu schmeißen? Du weißt doch, dass unsere Polstergarnitur im Wohnzimmer erneuert werden muss. Das Auto muss noch diesen Monat in die Werkstatt und das wird auch teuer, wie du wissen müsstest. Und du gibst so viel Geld für dein elendes Hobby aus! Werd doch endlich erwachsen!“ Nach diesem Ausbruch hatte Susanne die Tür zugeknallt und war zum Einkaufen gefahren. Siegfried war total überrascht: Es war das erste mal, dass Susanne ihm sein Hobby vorwarf, das er sich ja schließlich auch selbst finanzierte. Sie hatten vor langer Zeit einen Konsens darüber gefunden, dass seine Familienarbeit genauso wertvoll war wie ihre Erwerbsarbeit. Was war also los mit ihr?
Am Abend kam ein befreundetes Ehepaar zu Besuch. Susanne war immer noch so gereizt, dass ihre Freundin sie schließlich fragte, was denn los sei. Susanne nahm kein Blatt vor den Mund. Sie beschwerte sich offen über die Verantwortungslosigkeit von Siegfried. „Ich begreife einfach nicht, wie mein Mann sich etwas derartig teueres kaufen kann und ich muss zusehen, wie ich mit einem Gehalt uns alle vier über die Runden bringe! Ich finde das einfach unfair von dir, das muss ich dir schon sagen.“ Beim letzten Satz hatte sie ihn direkt angesehen. Es herrschte kurz Stille am Tisch. Siegfried war zutiefst beleidigt, weil er vor seinen Freunden nieder gemacht wurde. Ihre Freunde, Anna und Jens, begannen nach einer Schrecksekunde gleichzeitig zu sprechen, um zu beschwichtigen: darüber, wie schwer es die derzeitige Wirtschaftslage Familien mache mit nur einem Verdiener, darüber, wie andererseits Kinder davon profitieren würden, wenn ein Elternteil sich vor Ort zuhause um die familiären Belange kümmern würde, darüber, dass in diesen Zeiten viele Menschen unter Druck stehen würden - und wohin sich die Gesellschaft wohl in den nächsten Jahren entwickeln würde. Doch der Abend dauerte nicht mehr lange. Siegfried war immer noch wie vor den Kopf geschlagen und beteiligte sich kaum mehr am Gespräch und Susanne fühlte sich plötzlich nur mehr ausgelaugt und sehr, sehr müde. Gegen 22 Uhr verabschiedeten sich Anna und Jens früher als sonst.